Melitta Group

Geschäftsbericht 2021

Wohlstand und Konsum

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Unsere Einstellungen gegenüber Wohlstand und Konsum verändern sich. Werden wir morgen noch so konsumieren wie heute?
Was muss sich ändern? Meinungen von Jule Bosch, Alexander Busse und Katharina Roehrig.

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Jule Bosch Wenn man über Konsum spricht, haben viele Menschen sofort ein schlechtes Gewissen. Konsum scheint negative Assoziationen auszulösen. Ich frage mich, ob das eigentlich sinnvoll ist. Was denkt ihr, ist Konsum denn immer schlecht?

Katharina Roehrig Nein, das denke ich nicht. Konsum per se ist nicht schlecht. Viele Menschen assoziieren mit Konsum aber, dass sie zu viel oder gar nicht konsumieren sollten. Wenn man aber mit Verstand konsumiert, kann Konsum auch positive Effekte haben. Und dazu gehört auch, dass ich durch meine Nachfrage das Angebot verändern kann. Ich entscheide ja selbst: Was kaufe ich? Wie viel kaufe ich? Wie lange nutze ich diese Produkte? Und über diese Entscheidungen lenken wir alle – zumindest ein Stück weit – auch das zukünftige Angebot.

Alexander Busse Für mich ist Konsum eine Frage der Balance. Wir alle müssen ja konsumieren, sonst können wir nicht überleben. Das Problem ist nur das Zuviel-Konsumieren. Ich glaube, jeder kennt das: Manchmal konsumiert man einfach impulsiv, weil man einen schlechten Tag hatte, weil man müde ist oder weil man gerade Lust auf ein bestimmtes Produkt hat. Wünschenswert wäre, wenn man hier stets bewusst konsumieren würde.

Jule Bosch Bewusstes Konsumieren ist sicher wichtig. Gleichzeitig glaube ich, dass es unrealistisch ist, immer alle Faktoren abzuwägen und gesamtgesellschaftlich wird zu viel Veränderungsmacht bei den Konsumenten verortet, die sie allerdings gar nicht haben. Viele Informationen über die Auswirkungen eines Produktes werden von Unternehmen beispielsweise überhaupt nicht kommuniziert. Viele Menschen haben außerdem andere Sorgen, als sich damit zu beschäftigen. Was denkt ihr dazu? Haltet ihr es für realistisch, dass wir immer bewusst und achtsam einkaufen?

Alexander Busse Nein, ganz sicher nicht. Ansonsten wäre der Einkauf im Supermarkt ja eine Tagesaufgabe. Wir brauchen unsere Muster, gelernten Erfahrungen und unbewussten Handlungen, um effizient zu sein. Wir sollten uns aber ab und zu die Zeit nehmen, unseren Einkauf mit unseren Überzeugungen zu spiegeln.

Katharina Roehrig Ich denke, es wäre schon viel geholfen, wenn wir bei Anschaffungen bewusster entscheiden. Ich habe mir zur Regel gemacht, nur dann beispielsweise Kleidungsstücke, Schmuck oder Accessoires zu kaufen, wenn ich eine Nacht darüber geschlafen habe. Wenn ich dieses Produkt am nächsten Tag immer noch toll finde, dann kaufe ich es auch. Aber ganz häufig merke ich, dass der Wunsch, das Produkt zu besitzen, nur einem spontanen Impuls, einer Laune folgte.

Jule Bosch Minimalismus kann befreien und entlasten. Nicht umsonst gibt es Studien, die zeigen, dass man sein Glücksgefühl ab einer bestimmten Einkommensschwelle nicht mehr steigern kann. An diesen Punkt muss man natürlich erst mal kommen.

Alexander Busse Stimmt. Ich bekomme ab und zu einen Rappel und sortiere beispielsweise den Kleiderschrank aus. Dabei merke ich richtig, wie jedes aussortierte T-Shirt mir ein Stück Freiheit zurückgibt.

Katharina Roehrig Ich denke, es ist wichtig, ein gesundes Maß zu finden. Wir haben unser Anspruchsniveau in den vergangenen Jahrzehnten immer höher gefahren: Mittlerweile sind Fernreisen normal, Fleischgerichte jeden Tag sowieso und wir erwarten an der Brottheke ein komplettes Sortiment bis kurz vor Ladenschluss. Meiner Meinung nach müssen wir an unserer Einstellung arbeiten. Muss das wirklich alles sein? Und warum muss unser Konsumverhalten so diametral anders sein als früher?

Alexander Busse Ja, richtig. Ich glaube aber, dass dies nicht zu einer Selbstkasteiung führen darf. Die Verhältnisse heute sind anders als früher und Menschen überzeugt man nicht von einem nachhaltigen Konsum, wenn man sie nur aufklärt oder an die Moral appelliert. Ich schätze, 95 Prozent aller Menschen wissen, was sie eigentlich kaufen müssten, damit sie sich beispielsweise gesund ernähren. Sie tun es aber – vor allem aus Gewohnheit und Bequemlichkeit – trotzdem nicht.

Jule Bosch An dieser Stelle sind Unternehmen gefragt. Sie dürfen ihre Kunden eigentlich nicht mehr vor die Wahl stellen, entweder im Hier und Jetzt zu genießen und dafür negative Auswirkungen auf die Zukunft zu haben oder im Heute auf Spaß und Genuss zu verzichten. Wir brauchen Angebote, die genussvoll sind und gleichzeitig positive Effekte für Ökosysteme erzeugen – Böden und Luft verbessern, Biodiversität steigern und so weiter. Bjarke Ingels, ein dänischer Architekt, nennt das „hedonistische Nachhaltigkeit“ und sagt, Nachhaltigkeit darf keine Bürde sein, sondern muss für Unternehmen eine Herausforderung an deren Kreativität sein, eine „Design Challenge“.

Alexander Busse Genau, am Ende muss es Spaß machen! Davon bin ich auch überzeugt. Unsere Produkte verkaufen wir ohnehin nicht über das Nachhaltigkeitsargument – oder zumindest nur an einen kleinen Kundenkreis. Produkte verkaufen sich, weil sie toll sind, weil sie faszinieren, weil sie emotionalisieren – und nicht weil sie aus rationalen Gründen die beste Wahl sind. Und daher denke ich, haben Unternehmen eine große Verantwortung bei dieser Transformation.

Katharina Roehrig Und sie haben natürlich einen größeren Hebel, um für einen nachhaltigen Konsum zu sorgen. Das betrifft ja nicht nur die Produktentwicklung. Nachhaltiger Konsum hat auch mit der Gestaltung von Lieferketten, mit Kreislaufwirtschaft, mit der Nutzung von Sekundärrohstoffen und vielem, vielem mehr zu tun. Und vor allem mit Einstellung und Haltung. Denn wenn die verantwortlichen Mitarbeitenden vom Nachhaltigkeitsgedanken überzeugt sind, ergibt sich vieles von ganz alleine und in einem deutlich höheren Tempo.

Jule Bosch Und diese Mitarbeitenden sind gar nicht so rar gesät. Ich bin überzeugt, in jedem Unternehmen gibt es Menschen, in denen „kleine“ Aktivisten stecken, die nur darauf warten, etwas zu bewegen. Unternehmen sollten in dieser Frage also viel stärker auf ihre Mitarbeitenden setzen, als „von oben“ Vorgaben zu machen.

Katharina Roehrig Absolut! Das beobachten wir auch und versuchen dies natürlich zu nutzen. Wir finden es fast ein wenig erschreckend, dass unsere Gesellschaft von Schulkindern darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass wir Dinge dringend ändern müssen. Daher intensivieren wir gerade den Dialog mit der Generation Z und bauen verschiedene Austauschformate auf.

Alexander Busse Für mich ist wichtig, dass wir die Belegschaft mitnehmen – und dies nach Möglichkeit auch spaßig, emotional und mitreißend. Auch wenn wir hierfür schon vieles machen, sollten wir in diese Richtung weiterdenken. Für mich sind es die Menschen, die die Transformation machen. Und je motivierter und überzeugter sie sind, desto schneller kommen wir voran.

Jule Bosch Die Mitarbeitenden im Unternehmen sind der Schlüssel, um Nachhaltigkeit voranzutreiben und damit die negativen Auswirkungen des Konsums sehr vieler Menschen zum Positiven zu wenden. Strategisch gesehen müssen wir, um das wirklich zu erreichen, außerdem Nachhaltigkeit und Innovation nicht als zwei unterschiedliche Welten betrachten, sondern integral zusammen umsetzen.

Katharina Roehrig Ich finde das folgende Bild sehr schön: Zu Anfang schmeißt man einen Stein ins Wasser und erhält einen Ring. Je mehr Verbündete dann auch einen Stein ins Wasser werfen, desto mehr Ringe entstehen, die alle ineinandergreifen. Gerade jüngere Mitarbeitende suchen nach sinnstiftenden Aufgaben und finden viel Erfüllung darin, an diesem Thema mitzuarbeiten.

Alexander Busse Ich fände es großartig, wenn nachhaltiger Konsum nicht mehr gedacht, entwickelt und angestrebt werden muss, sondern wenn Konsum und Nachhaltigkeit im Einklang stehen. Als wirtschaftlich starke Region sollte Deutschland oder die EU hier eine Vorbildfunktion einnehmen. Wer, wenn nicht wir?

Jule Bosch ist Zukunftsforscherin, Gründerin und Sachbuchautorin. Sie begleitet seit mehr als 10 Jahren Innovations- und Strategieprozesse in Unternehmen. / Katharina Roehrig ist Geschäftsführerin des Zentralbereichs Kommunikation und Nachhaltigkeit bei der Melitta Gruppe. / Alexander Busse ist Projektmanager bei Melitta Single Portions und dort auch verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit.

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