Melitta Group

Geschäftsbericht 2021

Ernährung und Gesundheit

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Ohne eine Ernährungswende ist eine nachhaltige Zukunft nicht denkbar. Welche Schritte sind hierfür nötig? Welche Entwicklungen sind zu beobachten? Thesen und Meinungen von Hanni Rützler, Natali Wego und Tanja Wucherpfennig.

Hanni Rützler Ernährung ist Ausdruck der kulturellen Identität. Ethik und Moral, aber auch Geschichte und Religion beeinflussen die Esskultur und prägen sie von Land zu Land. Und Esskultur entsteht durch Übung: Wir lieben das, was wir häufig essen und was wir von Kindesbeinen an kennen. Geschmack und Genuss werden daher in unterschiedlichen Regionen auch sehr unterschiedlich interpretiert und erlebt.

Interessant ist aber, dass wir trotz dieser unterschiedlichen Esskultur gerade einen Paradigmenwandel rund um den Globus erleben: Weg von der Frage, was unser Essen kostet, hin zu einem holistischen Qualitätsbegriff. Die Herstellung und Verwendung von Lebensmitteln wird emotionaler und ethischer diskutiert. Wir wollen mehr wissen und richten unser Einkaufsverhalten neu aus.

Immer mehr begreifen wir dabei, dass wir die Industrialisierung und Globalisierung zu sehr auf die Spitze getrieben haben. Wir haben die Herstellung von Lebensmitteln dem Diktat der Effizienz untergeordnet. Dadurch haben wir auf allen Ebenen Normen und Standards gebildet, um noch billiger und noch effizienter zu werden. Dies führt mittlerweile zu erheblichen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

Wenn wir diese Herausforderungen lösen wollen, müssen wir diese industrielle Standardisierung wieder zurückführen. Wir brauchen eine Lebensmittelproduktionskette, die auch ohne derartige Standardisierungen leistungsfähig bleibt. Die variabler reagieren kann, Vielfalt fördert – und damit die Robustheit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen fördert, um den multiplen Krisen, insbesondere der Klimakrise, zukunftsfitter begegnen zu können.

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Natali Wego Ernährung ist für mich eng mit Gesundheit und Lebensqualität verbunden. Wichtig ist mir daher, dass Menschen – unabhängig von Bildungsstand, gesellschaftlicher Schicht und kultureller Prägung – Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben und wir uns aus der Massentierhaltung und den Monokulturen in der Landwirtschaft verabschieden. Wir brauchen auch in der Ernährung ein von Nachhaltigkeit geprägtes, ökologisch vertretbares und verantwortliches Handeln. Erfreulich ist daher, dass Ernährungsfragen seit einigen Jahren eine steigende Bedeutung erhalten haben.

Ich denke, dass ein respektvoller Umgang mit Lebensmitteln und das Wissen über Herstellung, Transport, Lagerung bis hin zur Zubereitung von Nahrungsmitteln zentrale Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft sind. Daher ist es wichtig, dass Ernährungsthemen noch sehr viel stärker in Erziehung und Bildungsprogramme eingebunden werden. In den Schulen tauchen die Themen Gesundheit und Ernährung nur am Rande auf. Dabei sind diese Themen mindestens genauso wichtig wie Kenntnisse in Mathe, Deutsch oder Geschichte. Denn Wissen über Ernährung kann viele Erkrankungen verhindern und wesentlichen Einfluss auf die Lebensdauer nehmen.

Erfolg werden Aufklärungs- und Bildungsprogramme aber nur dann haben, wenn diese nicht moralinsauer ausgerichtet sind und vorschreiben, was richtig oder falsch ist. Sie müssen vielmehr Lebensfreude vermitteln und so das Bewusstsein für eine ausgewogene und gleichzeitig genussvolle Ernährung stärken.

Der Gesetzgeber spielt meiner Überzeugung nach mit Blick auf Ernährung eine zu passive Rolle. Strukturen lassen sich häufig nur verändern, wenn die Rahmenbedingungen anders gesteckt werden. Dies entlässt Unternehmen – insbesondere diejenigen, die in der Lebensmittelproduktion tätig sind – nicht aus ihrer Verantwortung, ebenfalls für eine nachhaltige Zukunft zu sorgen. Doch Unternehmen können keine Rahmenbedingungen verändern und die richtigen Anreize für alle beteiligten Akteure setzen.

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Tanja Wucherpfennig Das Schöne beim Thema Ernährung ist: Es hat sowohl eine hochgradig emotionale als auch eine sehr rationale Seite. Denn Ernährung ist zum einen Lust, Freude und Leidenschaft und steht nicht selten im Mittelpunkt von Geselligkeit, Dialog und sozialer Bindung. Zum anderen ist Ernährung aber mit vielen Vernunftsentscheidungen sowie mit zahlreichen Do’s and Dont’s verbunden. Schön ist außerdem, dass jeder Mensch bei diesem Thema Profi ist und jeder mit seinem Verhalten Einfluss auf die Zukunft nehmen kann.

Ich finde es gar nicht schlimm, wenn man bei der Ernährung ab und zu über die Stränge schlägt und sich Lebensfreude auch im Genuss niederschlägt. Trotzdem sollte Ernährung eng mit Verantwortung verbunden sein. Eine übermäßige Verschwendung von Lebensmitteln sollte bei jedem Menschen Unbehagen auslösen – ob im privaten Haushalt oder in industriellen Prozessen. Solange es Hunger auf der Welt gibt, darf sich Effizienz nicht nur auf die Produktion von Lebensmitteln beziehen, sondern auch auf ihre Verwertung. Die Potenziale, die wir haben, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, haben wir längst noch nicht ausgeschöpft. Ich bin sicher, dass sich auch technologisch in den kommenden Jahren noch viel verändern wird, damit Nahrungsmittel intensiver genutzt und auch noch besser recycelt werden können.

Tiefgreifende Veränderungen wird es in den kommenden Jahren auch mit Blick auf die Herstellung von Lebensmitteln geben: Wir werden uns intensiv mit der Frage beschäftigen, wie wir zukünftig anbauen werden. Denn der Klimawandel und die Bevölkerungsentwicklung werden vieles verändern – von den möglichen Anbauflächen über die Bewässerung bis hin zu neuen Nahrungsmitteln und -gewohnheiten. Hier entstehen bereits zahllose alternative Szenarien und Entwicklungen, wie z.B. Urban Farming, große Treibhäuser, die Herstellung von künstlichem Fleisch, pflanzenoder insektenbasierte Nahrungsmittel und vieles, vieles mehr. Ich bin hier sehr zuversichtlich: Durch Forschung erschließen wir uns neue Möglichkeiten und können dadurch unsere ökologischen und gesellschaftlichen Probleme, die durch unsere aktuelle Ernährung entstehen, erheblich reduzieren.

Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin und Foodtrend-Forscherin. Sie ist Autorin des jährlichen Foodreports im Zukunftsinstituts-Verlag. / Natali Wego ist Senior Consulting Corporate Health Management bei der Melitta Gruppe. / Tanja Wucherpfennig verantwortet die interne und externe Kommunikation der Melitta Gruppe.

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